Jacques Herzog

Jacques Herzog ist einer der bekanntesten Architekten der Welt. Seit 1978 betreibt er mit seinem Partner Pierre de Meuron in Basel das Architekturbüro «Herzog & deMeuron». Herzog ist dem FCB schon lange verbunden. Er war auch Mitglied jenes Gremiums, das die Bewerbung des aktuellen FCB-Präsidenten Bernhard Burgener vorab genauer anschaute.

«Wir Basler haben ständig das Gefühl, zu kurz zu kommen. Nicht nur zu Unrecht»

Architekt Jacques Herzog ist ein fanatischer FCB-Fan. Einer, der sich grausam darüber aufregen kann, wenn auf seinem Platz im St.Jakob-Park ein falscher Schal liegt. Ein Gespräch über eine Stadt am Rand, hassenswertes Verlierertum und darüber, warum er niemals – niemals! – ein Stadion in Bern oder Zürich bauen wird.

Herr Herzog, woher kommt die starke Verbindung zwischen Kultur, Ästhetik und Sport in Basel?
Jacques Herzog: Sie gründet in einem Mythos. Als ich jung war, in den 1960er- und 70er-Jahren, hatte der FCB seine erste erfolgreiche Phase. Damals gab es eine Aufbruchstimmung in der gesamten Gesellschaft. In Basel manifestierte sich die im Theater. Ein Theater, das links war und sich ästhetisch neu ausdrückte. Damals entstand die Verbindung zum Sport, damals begannen sich die Sportler für Kultur zu interessieren – und umgekehrt. In dieser Zeit gründet auch die Begeisterung in der Stadt für den Club, die auch die Nati-B-Zeiten überlebt hat.

Heute scheint die Verbindung zwischen Fussball und anderen Gesellschaftsbereichen völlig logisch.

Wir leben auch in einer anderen Gesellschaft. Einer der Sensationen. Sensation im Sport, in der Kultur, in der Kunst. Wir haben überrissene Transfersummen im Fussball, überrissene Preise im Kunstmarkt. Der Fussball ist ein Teil der gesamten Gesellschaft geworden, was sich auch daran zeigt, dass sich viel mehr Schichten als früher für das Spiel interessieren.

Und warum scheint diese Verbindung in Basel stärker als anderswo?

Ich weiss nicht, ob es das wirklich gibt: die «Mentalität» einer Stadt. Falls ja, dann ist diese Mentalität in Basel stark vom Fussball geprägt. Der FCB ist ein Teil der Identität. Es scheint fast, als könnte man das FCB Logo neben dem Baselstab auf der Basler Fahne abbilden. Damit eine so starke Verbindung entstehen kann, eine Verbindung, die über den Sport in die Politik und die Wirtschaft weist, braucht es identitätsstiftende Momente und Geschichten.

Und bei uns wären die?

Entscheidend waren schon die 1960er-Jahre, als der Club nach jahrelanger Erfolglosigkeit plötzlich wieder gewann. Basel liegt im Herz Europas, ist Zentrum einer trinationalen, metropolitanen Region, liegt aber am Rand der Schweiz. Wir liegen geografisch ausserhalb des Mittellands. Und wir liegen kulturell und sprachlich ausserhalb des Mittellands. Ausserhalb der Schweiz! Viele politische Entscheidungen in der Schweiz werden entlang der West-Ost-Achse gefällt. Vielleicht rührt der Erfolg des Clubs darum so den Stolz der Stadtbewohner. Wir Basler haben ständig das Gefühl, zu kurz zu kommen. Nicht nur zu Unrecht. Wir bekommen weniger Subventionen, wir bezahlen mehr als wir erhalten, die anderen grossen Städte im Mittelland werden bei öffentlichen Investitionen in die Verkehrsinfrastrukturen bevorzugt. Ergibt sich daraus ein Gefühl von Verletztheit? Es mag jedenfalls ein Grund sein für die enorme Identifikation mit dem Club und seinem Erfolg.

Kann zu viel Erfolg auch langweilen?

Ich bin nicht Teil jener Fankultur, die sagt, gewinnen sei nicht alles im Leben. Natürlich war es toll, dass die Leute blieben, auch in all den mühsamen Jahren in der Nationalliga B. Aber ehrlich: Ich habe diese Zeit nicht genossen. Ich fand es nicht so lustig, dass Massimo Ceccaroni auch in seinem letzten Spiel sogar das Tor vom Penaltypunkt aus nicht traf. Diese Art von Verlierertum hasse ich.

Als Architekt des St. Jakob-Park haben Sie auch einen Anteil an der Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre. Wie wichtig ist der Ort des Spiels für die Identifikation der Leute mit dem Club?

Architektur hat schon immer Identität stiften können. Im besten Fall rührt sie an die Urinstinkte des Menschen. Stiftet Schutz, Geborgenheit, Stolz, Identität. Im Fall des St. Jakob-Park scheint mir das gelungen, die Fanszene hat das Stadion angenommen und zu einem Teil von ihr gemacht. Aber: Obwohl ich Architekt bin, ist mir der Erfolg meines Clubs dennoch wichtiger als die schöne Architektur. Solange der Club erfolgreich ist, wäre ich auch in einem hässlichen Stadion happy. Hier in Basel waren wir in den letzten 15 Jahren sehr verwöhnt: tolle Mannschaft in schönem Heimstadion, das für viele Basler/Innen ein unverzichtbarer Ort unserer Stadt geworden ist!

Der Erfolg ist flüchtig, das Stadion bleibt.

Darum kommt es darauf an, was die Menschen damit machen. Es gibt Stadien, die sind eigentlich hässlich und haben doch etwas Interessantes. Wie etwa ein Gesicht mit einer Zahnlücke. Es geschehen auch immer wieder erstaunliche Dinge. Dass die Muttenzerkurve dort ist, wo sie ist, ist den Fans zu verdanken. Sie haben sich eingenistet, sich einen Raum geschaffen.

Und trotzdem sind Sie mit dem Stadion nicht mehr zufrieden.

Innen schon. Innen ist es sehr gelungen, ein toller Raum. Die Mutter aller Stadien, jedenfalls Vorbild für alles, was wir als Architekten im Ausland bauten. Aussen ist es offensichtlich hässlich, weil wir nie wirklich koordiniert planen konnten. Wir hoffen, dass sich in den nächsten Jahren ein Projekt realisieren lässt, welches das Äussere des St. Jakob Parks neu definieren wird. Ein Club soll nicht ständig seine Zelte abbrechen und immer alles verändern, doch er darf auch nicht stehen bleiben. Die Vergangenheit schillert umso brillanter, wenn auch die Gegenwart wunderbar ist. Darum sollte man auch über eine neue Sportstadt beim St. Jakob-Park nachdenken. St. Jakob ist das grösste zusammenhängende Sportareal in der Schweiz. Fussball, Leichtathletik, Tennisplätze – man könnte ein ganz neues Quartier planen. Einen neuen Stadtteil! Dabei könnten Fussballstadion, Eventhalle, Sporthalle, Konzertplattformen radikal neu geplant werden. Es wäre eine grosse Investition nötig, die aber mit kommerziellen Nutzungen querfinanziert werden kann – warum soll so etwas nur in anderen Ländern möglich sein…? In zehn Jahren wird das jetzige Stadion 25 Jahre alt, dann kann man sich schon solche Dinge überlegen.

Als Architekt fördern Sie umstrittene Entwicklungen im und um das Stadion wie die zunehmende Kommerzialisierung und die Segmentierung der Fans. Stört Sie das als Fussballfan?

Ich kann Ihre Aussage so nicht stehen lassen: Die von uns gebauten Stadien zeigen ja, dass es möglich ist, ein topmodernes Stadion zu bauen und gleichzeitig eine intime, energiereiche Nähe zwischen dem Geschehen auf dem Feld und den Zuschauern herzustellen. Diese Nähe kann weder durch Kommerz noch durch einige Logenplätze gestört werden. Andererseits ist es natürlich schon so, dass sich ein Club immer wieder erneuern muss, sonst überlebt er nicht. Die entscheidende Frage ist dabei, wie man mit dem Bestehenden und dem ganzen Umfeld umgeht. In dieser Beziehung wäre noch sehr viel Verrückteres möglich, als bisher gemacht worden ist, wie unsere Stadionprojekte in Bordeaux und Chelsea zeigen. «Bordeaux» ist so wunderbar elegant und filigran, weiblich schon fast, «Chelsea» dagegen das pure Gegenteil: brachial – wie eine Burg aus «Lord of the Rings».

Feminin und Fussballstadion – passt das?

Wieso nicht? Offensichtlich passt das Stadion in die elegante Stadt Bordeaux, während es in dem von Backsteinhäusern geprägten Quartier an der Stamford Bridge absurd wirken würde. Architektur hat eben immer sehr viel mit dem Umfeld, mit den örtlichen Traditionen, zu tun.

Das ändert aber nichts daran, dass Sie mit Ihren Bauten die Kommerzialisierung noch weiter vorantreiben. Darum nochmals die Frage: Wie gehen Sie als Fussballromantiker damit um?

Ich sehe mich nicht als Romantiker. Wir sind einfach überzeugt, dass Fans ihre eigene Kultur leben wollen und deshalb die Spielstätten entsprechend unterscheidbar und erkennbar sein müssen. Als wir am neuen St. Jakob Park arbeiteten, wussten wir, dass nun der Moment gekommen war, wirklich eine neue Ära des Stadionbaus zu beginnen und zu begründen. Wir wollten zeigen, dass man ein Stadion auch als «richtige Architektur» bauen kann. Das tönt heute selbstverständlich, war es damals in den neunziger Jahren aber überhaupt nicht. Der St. Jakob-Park war das erste Stadion einer neuen Generation in Europa. Die bisherigen Stadien waren reine Funktionsbauten, die von Ingenieuren und nicht von Architekten entworfen worden waren. Darum war auch der Bezug zwischen dem Fan und den Spielern nie ein Thema bei der Planung. Dieses Denken haben wir mit den neuen Stadien in Basel und später auch in München geändert. Der kommerzielle Gedanke stand dabei für uns nie im Zentrum.

Wie sind Sie eigentlich als Fan?

Ich bin zu alt für die Muttenzerkurve, bewundere aber deren Fans, deren fantastische Choreographien alleine das Eintrittsgeld wert sind. Meinen Sitzplatz habe ich im Sektor C (gegenüber der Haupttribüne) – wo es keine Cüplibars und Fress-Buffets gibt. Wenn ich mal ins A (Haupttribüne) eingeladen werde, gehe ich vor dem Anpfiff immer ins C zurück, weil ich während dem Spiel nicht übers Geschäft reden und schon gar nicht neben einem FCZ-Fan sitzen will. Das funktioniert im Stadion ähnlich wie in einer Stadt: Auch dort gibt es die unterschiedlichsten Gewohnheiten und die unterschiedlichsten Bedürfnisse – und für alle einen speziellen Platz…

…und zwischen den einzelnen Bereichen gibt es in einem modernen Stadion Glaswände, Abschrankungen und Zäune, welche die Mehrbesseren von den einfachen Leuten abgrenzen. Auch das kennt man von Städten: eine klare Abtrennung zwischen den vornehmen und weniger vornehmen Quartieren.

Auch in dieser Hinsicht bildet ein Stadion die Gesellschaft ab, ja. Dabei geht es allerdings ganz stark auch um die Sicherheit. Wenn man solche Überlegungen vernachlässigt, können einzelne wenige Unvernünftige ein beträchtliches Chaos auslösen in einem Stadion.

Apropos Sicherheit: Wie käme das heraus – Sie neben einem FCZ-Fan?

Ich sitze immer bei meinen Freunden, die sind nicht Fans irgendeines anderen Clubs. Ich habe mich schon genug geärgert, als beim Cupfinal in Basel die Sitzplätze anders als in der Meisterschaft vergeben wurden und auf meinem Platz ein Sion-Schal lag. Was ein solch doofes Stück Stoff nicht alles auslösen kann! Als psychologischer Test war das jedenfalls eine recht interessante Erfahrung.

Aber in Zürich ein Stadion zu planen, käme für Sie aber schon in Frage?

Wieso sollten wir? Wir haben Basel gebaut, mit viel Engagement, das über das übliche Engagement des Architekten hinausgeht. Das brauchen wir doch nicht zu wiederholen in der Schweiz! Ein Beispiel: Wenn man ins Stadion kommt sieht man all diese Wände und Treppen in dem wunderbaren warmen Rot, das nicht nur Clubfarbe ist, sondern auch die Komplementärfarbe zum Grün des Rasens. Auf diese Weise werden deine Augen getrimmt, so dass sie das Grün des Rasens noch intensiver wahrnehmen. Das sind Feinheiten, klar. Aber insgesamt wird so eine ganz spezielle Stimmung erzeugt.

Warum machen Sie solche Dinge nicht auch in Bern oder Zürich?

Das könnten wir nicht objektiv angehen. Ein Stadion ist ja ganz stark mit den oben erörterten Themen der Fankultur, der Identität, der Psychologie eines Orts verbunden. So haben wir bisher unsere Architektur stets verstanden und besonders unsere Stadionprojekte auch konzipiert. Deshalb wurden sie zu kultischen Orten in ihrer Stadt. So etwas kann man als Architekt nicht schaffen, wenn man gleichzeitig hofft, dass das Heimteam dort jedes Spiel verlieren wird. Darum haben wir es abgelehnt, für Zürich und Bern tätig zu sein.

Was halten Sie vom Konzept der neuen FCB-Führung «Zurück zu den Wurzeln»?

Dazu eine Vorbemerkung: Bernhard Heusler ist der beste Präsident, den es im Schweizer Fussball je gab und je geben wird. Das weiss die neue Führung und wird darum hoffentlich nicht plötzlich alles anders machen. Man sollte das Motto «Zurück zu den Wurzeln» nicht für bare Münze nehmen. Auch unter dem neuen Sportchef Marco Streller werden nur jene spielen, die Leistung bringen, ob sie nun aus der Region Basel, der übrigen Schweiz oder sonst woher stammen. Das ist auch richtig so. Für mich ist ein Basler, wer rotblau trägt und gut spielt. Und wenn er den Club verlässt, interessiert er mich nicht mehr…

So hart?

Na ja, es gibt Ausnahmen… Spieler, bei denen man hofft, dass sie dereinst zurückkommen werden! Ivan Rakitic wäre toll wieder in Rotblau zu sehen. Besonders er, weil er einst eine Lehre bei uns im Büro begonnen hatte, bevor ihm der FCB den ersten Profivertrag anbot.

 

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