Silvia Schenker und Christoph Eymann sind Fans des FC Basel – wie so viele Politiker in der Stadt. Ein Gespräch über gesunde und ungesunde Nähe zwischen Stadt und Verein, über die politische Macht der Kurve und versäumte Chancen des FC Basel. Politische Chancen, versteht sich.
Frau Schenker, muss man als Basler Politiker bekennender Fan des FC Basel sein?
Silvia Schenker: Ich war ganz lange Politikerin im Grossen Rat und im Nationalrat und wurde gewählt, ohne Fan zu sein. Mein Fantum hat sich erst in den letzten vier bis fünf Jahren entwickelt. Für mich bedeutet der Besuch von Spielen Erholung und Ausgleich und ist nicht Teil der politischen Tätigkeit. Ich geniesse es, ein Teil einer Fangemeinde zu sein.
Ist das bei allen Fans unter den Politikerinnen und Politikern so?
Christoph Eymann: Nein. Aber man wird auch nicht einfach so gewählt, weil man sagt, dass man den FCB toll findet. Die Fans sind politisch breitestens ausgerichtet. Das ist einer der grossen Vorteile von Basel. Es kommt nicht gut an, wenn man den FCB politisch instrumentalisiert.
Schenker: Es gibt sicher Personen, die sich gerne im FCB-Trikot oder als FCB Fan zeigen, weil sich das gut macht und Aufmerksamkeit generiert. Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sich das auf die Wahlen auswirkt.
Waren Sie als Handballer immer schon FCB-Fan, Herr Eymann?
Eymann: Ja, ich ging schon mit dem Vater auf den Landhof. Das war natürlich noch eine ganz andere Zeit. Der FCB war gesellschaftlich noch nicht so verankert. Dafür gab es aber einen engeren Kontakt zu den anderen Sportvereinen der Stadt und auch zu Cliquen wie den VKB, die vom FCB regelmässig zu Spielen eingeladen wurden. Diese Kontakte, die auch im lokalen Umfeld des Landhofs verankert waren, gingen mit der laufenden Professionalisierung des FCB verloren.
Nutzt der Basler Regierungsrat FCB-Spiele als politische Plattform?
Eymann: Wir haben anlässlich von Champions-League-Spielen des FC Basel Kontaktpflege betrieben. Zum Spiel gegen Paris St. Germain beispielsweise luden wir elsässische Gemeindeverbände ein – die waren allerdings nicht wirklich interessiert, weil Paris im Elsass gar nicht so beliebt ist.
Wie prägend ist der Erfolg des Vereins für die Wahrnehmung der Region in der Schweiz?
Schenker: Wenn es um die Meisterschaft geht, spüre ich in Bundesbern oft Neid und Missgunst. Bei internationalen Spielen hingegen ist es anders. Ich glaube aber nicht, dass der Fussball für die Wahrnehmung der Region entscheidend ist.
Eymann: Basel wird grundsätzlich als reiche Region wahrgenommen. Da passt der erfolgreiche FCB gut ins Bild.
Schenker: Das kann ich bestätigen. Bei der Bundesratskandidatur von Eva Herzog reagierten gewisse innerhalb der SP so: Das reiche Basel mit der Chemie braucht nicht noch einen Bundesrat.
An Meisterfeiern – aber auch im Stadion – gibt es also eine Nähe von einzelnen Playern aus Club, Wirtschaft und Politik. Kann das nicht auch problematisch sein?
Eymann: Ich spüre diese Nähe zum Beispiel auch im Grossen Rat. Meiner Einschätzung nach wurde nie versucht, etwas auf einem Weg zu erreichen, der nicht transparent genug gewesen wäre.
Aber aufgrund seines Stellenwerts erreicht der Club, was er will.
Eymann: ((zögert)) Ja. Ja, das ist schon so.
Hat der FCB mal etwa nicht erreicht?
Eymann: Ja. Es laufen aktuell Diskussionen im Rahmen der Stadiongenossenschaft. Man hat in der Euphorie des Stadionbaus vergessen einen Unterhaltsfonds zu äufnen. Das ging auch bei der Übergabe von Kompetenzen von der Stadiongenossenschaft an den Verein etwas unter. Nun war die Idee da, den Kanton in die Pflicht zu nehmen, wenn es um gewisse Erneuerungsarbeiten geht. Aber der offensichtliche Geldfluss scheint aus taktischen Gründen nun das Anklopfen bei den Basler Behörden zu verhindern. Da scheint eine Grenze erreicht, was diese Möglichkeiten angeht; und da geht es um viel Geld.
Architekt Jacques Herzog spricht bereits vom nächsten Joggeli. Bis wann soll das stehen?
Eymann: ((lacht)) Das erstaunt mich nicht, dass Jacques Herzog das sagt. Er ist erstens voller Ideen und zweitens ohne Hemmungen. Wenn man die Immobilien-Lebensdauer mit etwa jener des Hiltons vergleicht, sollte das Joggeli schon noch ungefähr 30 Jahre funktionieren.
Mit der Pharma-Industrie steht die Politik in einem institutionalisierten Austausch, es gibt Jours fixes. Hat der FCB einen ähnlichen Status?
Eymann: Mit der Regierung? Nein. In der Stadiongenossenschaft sitzen zwei staatliche Interessenvertreter des Kantons, Peter Howald vom Sportamt und Ueli Vischer. Das ist der einzige offizielle Kontakt – und der ist indirekt. Offiziellen direkten Kontakt gab es eigentlich nur als Ehrung bei Meisterschaften. Zu Beginn noch mit der Mannschaft. Aber die hat das doch angegurkt, eine Wurst zu essen und mit ein paar alten Männern herumzustehen. Einmal mussten sie sogar die Ferien um zwei Tage zu verschieben. Lustig war allerdings, als Murat Yakin sagte, er müsse das Auto umparkieren und dann seinen Ferrari quer über den Petersplatz gelenkt hat – direkt vor den Empfang. Und auf dem Beifahrersitz war, gross gedruckt, die Wegbeschreibung zum Petersplatz zu sehen.
Wie erklären Sie sich, dass in einem rotgrün dominierten Kanton ein Club wie der FCB in der Führungsspitze einen offensichtlichen Überhang an bürgerlichen Menschen hat?
Schenker: Vielleicht ist das der Ausgleich? Nein, ich glaube das ist Zufall. Vielleicht liegt das Geld eher in bürgerlichen Kreisen. Und Geld spielt halt auch im Fussball eine entscheidende Rolle. Auch weil Positionen mit Leuten besetzt werden, die Beziehungen zu Menschen mit Geld haben – oder selber Geld haben.
Eymann: Das glaube ich auch. Wenn man zurückschaut zu Charles Röthlisberger oder Peter Epting: Die haben Tag und Nacht Kontakte zu Leuten gepflegt, die vielleicht einmal Geld in den Club geben könnten. Das lief noch über handschriftliche Listen von Personen, von denen sich die FCB-Oberen etwas erhofften – und sei es nur der Kauf von ein paar Tribünen-Saisonabonnements. Damals weibelte übrigens auch Karli Schweizer Senior mit. Ich glaube aus diesem Drang, eine stabile Einkommenssituation zu generieren entstand – auch über Firmen – ein bürgerliches Netzwerk, das bis heute zusammenhält.
Wie nehmen Sie die Muttenzerkurve politisch wahr? Kann man die einordnen?
Schenker: Ich kenne Leute aus der Kurve, die sind schon eher links. Aber ich glaube, da ist keine pauschale Einordnung möglich. Ich glaube auch nicht, dass sich die Kurve politisch einordnen lassen möchte. Was mich total fasziniert an der Muttenzerkurve, ist der Zusammenhalt, den sie zeigen und natürlich ihre unerschütterliche Treue zum FCB.
Eymann: Ich sehe die Kurve apolitisch, allenfalls leicht links. Ein Indiz könnte zum Beispiel René Häfliger sein. Der wäre doch im ersten Anlauf problemlos für die LDP in den Grossen Rat gewählt worden, wenn die Kurve stramm bürgerlich wäre. Ich glaube die Kurve ist sehr bunt zusammengesetzt, viele haben mit der Politik nichts am Hut.
Und trotzdem werden sie wahrscheinlich stark politisiert in der Kurve, wenn es zum Beispiel darum geht sich in die öffentliche Sicherheitsdiskussion einzubringen oder auf Auflagen zu reagieren.
Eymann: Stimmt, das fällt auf. Ich habe mich da auch schon gefragt, ob das eine Basisbewegung ist, oder ob da eine Spitze in eine Richtung zieht. Ich glaube eher letzteres. Und da kann auch etwas bewegt werden. Dass die Muttenzerkurve versucht in gewissen Fragen Einfluss auf die Politik zu nehmen, manchmal sogar mit Erfolg, das ist unbestritten. Ein Beispiel: Ich möchte nicht behaupten, Baschi Dür habe sich seine ablehnende Meinung zum Hooligan-Konkordat aufgrund von Stadionspruchbändern gebildet. Aber – und inhaltlich mag diese Haltung sogar richtig sein – ist es formal verwunderlich, wenn gerade Basel, das im Fussball über das meiste Geld verfügt und wo doch immer wieder etwas passiert im Umfeld von Matches, sich gegen das Konkordat stellt.
Schenker: Ich taxiere dieses politische Engagement im Stadion als Lobbyismus für die eigenen Anliegen. Ich sehe auf Transparenten und ähnlichem jeweils einen starken direkten Bezug zu persönlichen Anliegen von Fans, von einzelnen Fans. Das ist absolut legitim, aber die politische Reichweite stelle ich in Frage.
Lässt sich die Politik davon manchmal möglicherweise zu stark beeindrucken?
Eymann: Es ist tatsächlich so, dass die Kurve sehr machtbewusst ist. Wenn sie sich mit irgendwelchen Aktionen gegen den eigenen Club richtet oder ihn sogar boykottiert, dann hat der ein Problem. Damit muss eine Clubleitung umgehen können. Und darum hatte ich immer Verständnis für Bernhard Heusler, auch wenn ihm wiederholt vorgeworfen wurde, er trete gegenüber den Fans zu kompromissbereit auf.
Das politische Verhältnis der beiden Basel scheint nie so entspannt zu sein, wie wenn es um den FCB geht.
Eymann: Kleinere Differenzen gab es selbst beim Thema FCB. Ich erinnere mich noch gut an eine Phase in meiner Zeit als Regierungspräsident, als es im Bereich der bikantonalen Zusammenarbeit einige Unstimmigkeiten gab. Darum entschieden wir uns in Basel, die Baselbieter Regierung zu einer Lämpesitzung einzuladen, fast so wie in einer Fasnachtsclique. Nach der Begrüssung bat ich die Kolleginnen und Kollegen vom Land, uns doch einfach zu sagen, was wir «lätz» machten. Es folgte ein langes Schweigen. Dann endlich sagte jemand: «Beim FCB habt ihr immer die besseren Plätze.» Das änderten wir und so konnte Sabine Pegoraro an einem der nächsten FCB-Spiele von einem besseren Platz aus zum Kollegen Ballmer rüber rufen: «Lueg Adrian, da sind gleich vier Baselbieter auf dem Platz – die beiden Degen, Frei und Streller.» Das ist das Schöne: Der FCB sprengt die Grenzen, hinter ihm steht die ganze Region.
Schenker: Der FCB bringt in dieser Hinsicht wirklich eine perfekte Durchmischung zustande. Schade finde ich, dass sich das auf den Austausch der beiden Kantone und ihre Selbstwahrnehmung kaum auswirkt. In dieser Hinsicht könnte auch der Club eine aktivere Rolle als Botschafter spielen. Gerade in der jetzigen Zeit, in der die Zusammenarbeit in Bereichen wie der Gesundheit oder der Universität so schwierig ist und einige wichtige Projekte auf der Kippe stehen. Genau das Gleiche gilt übrigens bei der Integration: Auch auf diesem Feld könnte der FCB deutlich aktiver sein.
Nur zu: Sagen Sie, was Sie erwarten.
Schenker: Dem Publikum ist es egal, woher ein Spieler stammt, welche Sprache er spricht, ob er schwarz oder weiss ist und sein Name mit –ic endet oder nicht. Hauptsache, er spielt gut und das Team hat Erfolg. Auf diese Weise zeigt sich im Stadion wunderbar, wie Integration funktionieren kann. Leider wird diese Erkenntnis weder von den Spielern, noch von der Clubleitung nach draussen transportiert. Das finde ich schade.
Eymann: Integration funktioniert beim FCB über Identifikation und in dieser Hinsicht tut der Club sehr viel für die Region. Ich sah das bei der Vorstellung der neuen Lehrlinge im Erziehungsdepartement immer wieder: Da sagte jeder Zweite, er sei FCB-Fan, ob er nun Basler oder Zuzüger war. Und sie alle gehen immer wieder gemeinsam ins Stadion. Das ist ein sehr positiver Effekt. Meines Erachtens ist es da gar nicht mehr nötig, dass sich der Club politisch äussert. Ich weiss auch nicht, ob das gut ankäme.
Schenker: Ich stelle einfach fest, dass die ganze Anhängerschaft mit dem Nachwuchstalent Veljko Simic mitlitt, der nach Basel transferiert wurde, dann aber nicht spielen konnte, weil ihm die Behörden die Arbeitserlaubnis verweigerten. Gleichzeitig kenne ich persönlich mindestens ebenso tragische Fälle von jungen Flüchtlingen, die Lehrstellenangebote ablehnen mussten, weil ihnen irgendeine Bewilligung fehlte. Auf solche Widersprüche könnte der FCB doch aufmerksam machen!
Integration und Identifizierung funktioniert in einem Stadion sehr stark über Abgrenzung. Wie ist das in der Gesellschaft? Bedingt das eine dort nicht auch das andere?
Schenker: Das ist für mich jetzt eine schwierige Frage. Ich stelle jedenfalls fest, dass in einem Stadion einige Äusserungen gemacht werden, bei denen ich mir sagen muss: «Du bist jetzt nicht als linke Politikerin und auch nicht als Feministin da, sondern einfach als Fan, da kannst du gewisse Dinge auch mal überhören.»
Wie stark machoid ist denn das Umfeld im Stadion?
Schenker: Nicht stärker als anderen Orten. In der Politik beispielsweise. Im Fussball dünkt mich das aber oft ehrlicher, da kommt es einfach direkt raus und wird nicht von irgendwelchen Verhaltenskodexen zugedeckt.
Schenker: Ich bin als Fan des FC Grenchen gross geworden und stand schon als kleines Mädchen am Spielfeld. Fussball war schon immer der Sport, der mich am meisten interessierte. Seit ich in der Region Basel wohne, hat das wieder zugenommen. Es war auch eine Integrationsmassnahme: Richtig angekommen hab ich mich hier erst gefühlt, als ich eine Jahreskarte gekauft habe. Es war wie eine Einbürgerung! Ab diesem Moment gehörte ich dazu. Das ging viel schneller als etwa bei der Fasnacht: Da dünkt mich die Grenze zwischen denen, die dazugehören und den anderen viel strenger.
Eymann: Weisst du noch wie der Goalie von Grenchen hiess?
Schenker: Beim besten Willen nicht.
Eymann: Tschannen! Der war saugut und führt heute die Bahnhofsbeiz in Müntschemier. Das ist aber eine andere Geschichte. Faszinierend am FCB finde ich, dass diese Begeisterung einen Wert an sich geschaffen hat. Das sieht man in anderen Schweizer Städten kaum.